Der Zorn der Zopetscharte - Wettersturz und Schnellabstieg

Wettersturz

«Ich bin jetzt oben!», vermelde ich leicht abgehackt. Bevor ich noch weitere Details von mir geben kann, höre ich die Aufforderung: «Mach‘ bloß, dass du von dort oben verschwindest! Es zieht sich alles zu!»

Ich stutze ein wenig, denn so schlimm erscheint mir die Wetterlage nicht. Ich verspreche meiner Frau, gleich nach dem Schießen der Fotos ins Timmeltal abzusteigen. Dann verstaue ich das Handy wieder. Ich stelle das Stativ auf, befestige den Fotoapparat und inspiziere die Motive, die ich mir vorgenommen habe. Der Blick ins Timmeltal wird ein wenig diesiger und ganz plötzlich streicht mir ein eiskalter und scharfer Wind ins Genick. Ich spüre, wie der Schweiß auf den Spitzen meines Bartes zu kleinen Eiskristallen gefriert.

Etwas verärgert drehe ich mich um. Das Dorfertal ist verschwunden, eine dunkelgraue Wand schiebt sich zügig über den Felshang.

«Es zieht sich tatsächlich zu…», knurre ich ungläubig vor mich hin und denke, dass es vielleicht wirklich an der Zeit ist, ins Timmeltal abzusteigen. Ich verharre noch ein paar Augenblicke und stelle fest, dass die dunkelgrauen Wolkenmassen wohl in spätestens zehn Minuten die Zopetscharte erreicht haben werden.

Ich wende mich dem Rucksack zu, um schnell alles zu verstauen, da sehe ich, dass nun auch das Timmeltal unter einer trüben Schicht verschwunden ist. Sehr rasch ist der Rucksack wieder gepackt und gezurrt und ich beginne den Abstieg.

Hektischer Steilabstieg

Es geht heftig hinunter und der Weg ist schon bei trockenen Verhältnissen mit Vorsicht zu genießen

Gerade, als ich mir ausrechne, dass ich für das problematische Steilstück nicht mehr als 20 Minuten brauchen werde, prasseln dicke Graupel auf meinen Rucksack.)

Ich schimpfe innerlich. Vor wenigen Minuten noch gefror mein Bart, jetzt fällt Eis vom Himmel, und was ich nun beileibe nicht gebrauchen kann, ist ein vereister Abstieg. Der Untergrund ist feucht, und ich prüfe bei jedem meiner raschen Schritte, ob der Tritt auch sicher ist.

Der Graupelschauer hört auf, aber bevor sich überhaupt Erleichterung in mir ausbreiten kann, beginnt es nun erst einmal sanft zu regnen. Ich blicke die paar Dutzend Meter zur Scharte zurück. Alles schwarz.

Sofort entwickelt der Boden unter meinen Füßen ein Eigenleben. Die sandbedeckten Stellen des felsigen Hanges bekommen den Charakter von Schmierseife. Ich muss tatsächlich einen Teleskopstock aus der Hand geben und mich an den unangenehm kalten und teilweise aufgesplissten Drahtseilsicherungen festhalten. Während ich mehr in die Tiefe gleite denn gehe, wird der Regen unangenehmer. Ich beschließe, nun doch auch die Regenhose anzuziehen. Aber wie? Der unsichere Stand ermutigt mich nicht gerade dazu, den Rucksack abzunehmen. Glücklicherweise befindet sich das Regenzeug in einem von außen zugänglichen Fach, aber ich habe doch meine Schwierigkeiten nach hinten zu greifen und den Reißverschluss aufzuziehen. Mehr als einmal rutscht einer meiner Füße auf der «Schmierseife» aus, irgendwie erscheint mir die Situation ziemlich prekär.

Nach einer Minute Herumgezappele, bei dem ich mich mit der linken Ellbogenbeuge schmerzhaft in das Drahtseil gehängt habe, flattert endlich die Regenhose in meiner Hand. Ich hänge eine Schlaufe der Hose mit einem Karabiner an meinen Gürtel und ziehe mit der nun freien Hand mühsam wieder das Rucksackfach zu. Und noch habe ich die Hose nicht an! Diese Regenhose ist an und für sich sehr praktisch, muss man doch nicht mit den dicken Bergstiefeln hineinsteigen: man schlägt sie in zwei Hälften um die Beine und zieht sie mit dem Reißverschluss zu. Aber jetzt mit einer Hand? Es geht irgendwie, indem ich mich nahe an Felsen stelle und mit der linken, etwas durch die Sicherung behinderten Hand nachhelfe. Noch ist meine Wanderhose nur angefeuchtet und ich bin froh, dass ich nun unter der Regenkleidung nicht mehr nass werden kann.

Ich halte mich mit der anderen Hand fest und schüttele den linken Arm aus, der ein wenig eingeschlafen ist. Inzwischen – wie abgesprochen – regnet es in Strömen. Ich muss weg aus dieser Schmierseife, aber jede Hektik ist unangebracht, denn der Weg ist in diesem Zustand lebensgefährlich. Ich schiebe noch schnell einen Stock irgendwie in eine Rucksackschlaufe und gehe vorsichtig weiter.

Es knallt irgendwo hinter der Zopetscharte. Ich habe keinen Blitz gesehen und vermute das Gewitter im Dorfertal beziehungsweise im Kar hinter der Kreuzspitze. Trotzdem bekomme ich eine Gänsehaut, denn mir wird bewusst, dass meine linke Hand noch immer das sichernde Drahtseil umfasst. Ich muss von diesen Seilen weg! Zügig, aber noch immer extrem vorsichtig, rutsche ich langsam nach unten. In regelmäßigen Abständen dringen weitere Donnerschläge an mein Ohr.

Inzwischen hat sich das graue Wolkengebilde aus dem Dorfertal mit der trüben Suppe des Timmeltals vermischt und ich stecke mitten im Grau. Es ist angenehm, dass nun der Regen leicht nachlässt. Aber ich habe Angst, mitten in der Gewitterwolke zu stecken. So schnell, wie ich es verantworten kann, hetze ich weiter. Nur weg von diesen Drahtseilen, alles andere ist jetzt egal.

Ende der gesicherten Strecke! Ich atme auf, auch wenn ich vom Weg nicht sehr viel sehe, gerade einmal zehn oder fünfzehn Meter weit. Aber es reicht, denn ich weiß, dass nun keine wirklich gefährlichen Stellen mehr kommen, und verlaufen werde ich mich hier auch nicht.

Es geht immer noch stramm nach unten, die Wegverhältnisse werden besser, und als guter Bergabgeher komme ich sehr zügig voran.

Eine Viertelstunde später komme ich unter die Wolkendecke. Es regnet stärker und jetzt blitzt es auch. Der Donner folgt zwei Sekunden später, und ich empfinde diese Nähe nun doch als unangenehm, zumal ich an diesem Hang relativ exponiert bin. Trotzdem: weiter, nur weiter. Ich habe keine Lust, mich irgendwo in einer Mulde oder Nische krank zu frieren.

Es wird flach. Der Talboden des Timmelbaches ist erreicht, auf rutschigen Steinen und ein paar dazwischengekeilten Brettern überschreite ich das breite und angeschwollene Gewässer.


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