Hinterbichl - Geschichten

Hin­terbichl liegt im Virgen­tal in Osttirol, das durch sei­ne geografi­sche Abge­schiedenheit vom Bau­boom und vom Massentourismus weitgehend verschont ge­blie­ben ist. Im Oberbich­lhof, der ne­ben ei­nem klei­nen Raritätenmuse­um auch ei­nen Schmelz­ofen aus dem Mit­telal­ter beherbergt, scheint die Zeit stehen ge­blie­ben zu sein.

Von Matrei in Osttirol aus windet sich die Straße ent­lang der Isel, dem Hauptfluss Osttirols, hin­auf ins Virgen­tal, das weg­en sei­nes milden Kli­mas auch das Me­ran Osttirols ge­nannt wird. Matrei, Virgen, Obermauern, Prägra­ten, Hin­terbichl – dana­ch ist das En­de der Straße schon ab­sehbar, und nur mehr die Wande­rer können wei­ter, und das ist gut so; denn wer hierher kommt, sucht al­les an­de­re als Lärm und Hektik. Ei­ne revi­talisier­te alte Kornmühle, nur ei­nen Steinwurf vom 400 Jah­re al­ten SymbolGast­hof Islitzer ent­fernt, markiert den Beginn ei­ner er­lebnis­rei­chen Wanderwelt am Fuße des Großve­nedigers.

Nach ei­ner gemütli­chen Wander­stun­de errei­chen wir be­reits ei­nes der großartigs­ten Natur­schau­spiele die­ser Gegend: oberhalb der bei­den Jau­sen­stationen Pebel­lalm und Islitzer­alm zeigt das tosen­de Was­ser dem Umbalfälle sei­ne unbändige Kraft. Die vie­len Mil­lionen Kubikme­ter Was­ser schlei­fen den Felsen im Bachbett jedes Jahr einige Mil­lime­ter ab. An besonders heißen Sommer­ta­gen nimmt die Was­sermenge der Isel stark zu, bis zu 15 Kubikme­ter pro Sekun­de donnern die Ka­tarakte herun­ter. Ein Ge­nuss ist es, hier Was­ser pur über die Lippen lau­fen zu las­sen. «Glet­scher­milch» nennen es die Einheimi­schen, jenes nur von fei­nem Mine­ralstaub getrübte Glet­scherwas­ser, auf de­s­sen Heil­kraft viele schwörten und von weit herkamen, um davon zu trinken, ja, man­che mach­ten sogar richtige Trinkku­ren mit man­chem Heil­erfolg.

Bein­ahe wäre dies Natu­r­er­eig­nis besonde­rer Art in den 70er Jah­ren ei­nem Kraftwerks­projekt zum Op­fer gefal­len. Doch es wa­ren die öko­logi­schen Über­legun­gen, die die Mega­watt­produkti­on schließlich zu Fall brach­ten. Nur unweit von den tosen­den Umbalfällen am Oberbich­lhof zwi­schen Hin­terbichl und Prägra­ten sind noch vergnügte Vogel­stimmen und das Summen der Bienen vor ihrem Einflu­g­loch zu hören.

Das lärchene Bauern­haus mit den Grundmauern aus dem 13. bis 14. Jahrhundert ist nur durch Zufall erhal­ten ge­blie­ben. Heu­te ist das alte Haus mit sei­nem klei­nen Privatmuse­um zu ei­nem be­lieb­ten Aus­flugsziel gewor­den.

Lebens­grundla­ge der Bauern bildet heu­te ne­ben der Vieh­wirt­schaft vor al­lem auch der Berg­tourismus. Ei­ner, der die­se Chance schon frühzeitig erkannt hat, ist der Bich­ler Friedl Kratzer. Mit sei­nen Ge­schwistern setzte er 1974 sei­nen ehrgeizigen Plan in die Tat um, auf 2.600 m Höhe ei­ne Schutzhütte zu erbauen. Kein leich­tes Un­terfan­gen, muss­ten doch 30 Tonnen Baumate­ri­al per Hubschrauber ins Hoch­gebirge geflogen wer­den. Und nicht nur das: In Ei­genregie legte der pas­sionier­te Wande­rer Höhen- und Wan­der­wege ins Ve­nedigergebiet an, um die­se faszi­nieren­de Bergwelt auch den Touris­ten zu erschließen. Ein verhee­ren­des Lawinen­un­glück im Frühjahr 2001 vernich­te­te Friedls Lebens­werk. Die großzügige Un­terstützung aus dem österrei­chi­schen Ka­tastro­phenfond, die Tatkraft der Fa­milie Kratzer und Zuwendun­gen von vie­len Freun­den sorg­ten dafür, dass uns hier oben be­reits ein Jahr später ei­ne neue Sajathütte begrüßte.

Dort oben bietet sich ein einzig­artiges Pan­ora­ma. Die Wande­rer, die norma­lerweise 3 Stun­den un­terwegs sind, um die rund 1300 Höhenme­ter zur Sajathütte zu überwin­den, sind um viele Blicke rei­cher. In der Hütte sit­zen sie am Abend alle bei­sammen, um den Erzählun­gen des Alpenkönigs, ei­nes altgedien­ten Bergführers, zu lau­schen und Pläne zu schmieden für die morgige Rou­te. Dazwi­schen liegt aber manch­mal noch ei­ne lange Nacht mit ei­nem Ge­wit­ter, das an den Grundfes­ten der Hütte rüttelt und den Men­schen die Macht der Natur nur allzu deutlich vor Au­gen führt.

Text: «Die Kreativen Hinterbichler»
Red. Überarbeitung und Aktualisierung: Peter M. Faißt