Drei Dreitausender auf einmal - Auf die Kreuzspitze

Mein Aufenthalt auf der Sajathütte ist kurz. Ich trinke einen Kaffee und verabschiede mich für dieses Jahr vom Hüttenwirt und dem anwesenden Hüttenteam.

Betont langsam stapfe ich in den Hintergrund des Sajatkars. Der Anstieg zur Kreuzspitze ist gerade in den Spätsommertagen mühsam. Die Schneefelder sind weg, der Boden ausgetrocknet, und so ist der Steig über den sandigen Untergrund rutschig und anstrengend. Das letzte Stück vor dem Einstieg in die Wand ist regelmäßig besonders gemein, und wie immer, muss ich am Fuß der imposanten Felswand erst einmal ein paar Minuten Luft schöpfen.

Ich schwitze! Es ist schon relativ spät – die Sonne scheint ungehindert ins Kar. Nach dem Fleece-Shirt verschwindet nun auch die leichte Windjacke im Rucksack. Die Stöcke schiebe ich zusammen und schnalle sie fest.

Auf dem herausgesprengten Steig geht es an der fast senkrechten Felswand zügig nach oben. Obwohl ich diesen Aufstieg gut kenne, bewege ich mich langsam und mit äußerster Konzentration. Die Füße haben reichlich Platz und der felsige Boden ist nur gelegentlich von kleinen Steinchen bedeckt. An den Spitzkehren ist es ein wenig heikler. Zum einen gibt es hier Stellen, wo die Seilsicherung unterbrochen ist, zum andern ist dort gelegentlich ein anständiger Tritt nach oben zu machen. Ich ziehe mich nicht gern an Drahtseilen hoch und versuche also, mich im gut griffigen Fels mit der Hand zu sichern. Dabei muss ich beim Überwinden der Steilstufen wegen meiner Körpergröße darauf achten, nicht mit dem Kopf an hervorstehenden Stellen anzustoßen.

Ich komme gut voran! Von den Anstrengungen des Vortags ist nichts mehr zu spüren. Es ist eine wahre Freude, bei schönstem Wetter durch diesen Fels zu steigen. Ich lasse mir Zeit und bleibe mehrfach stehen, um die Eindrücke auf mich wirken zu lassen. Ich spüre, dass ich heute einen würdigen Abschluss meiner Bergsaison haben werde.

Ich habe die Wand durchstiegen und trete nach einer etwas beschwerlichen aber harmlosen Kletterstelle in die strahlende Sonne hinaus. Hier gibt es tatsächlich eine kleine Grasmatte, durch die ein tief eingetretener Trampelpfad führt. Unangenehm! Man bleibt leicht mit den Füßen hängen – aber Stolpern ist hier nicht besonders angesagt: zu steil und haltlos geht es ins Sajatkar hinab.

Der Weg biegt sehr schnell nach rechts in die lange Flanke unterhalb des Schernerskopf ein. Das Gras tritt zurück und macht einer unangenehm rutschigen Schräge aus Fels und kleinen Steinchen Platz. Diese Passage habe ich schon immer als unangenehm empfunden. Zum unbeschwerten und leichtfüßigen Gehen ist die Schräge etwas zu steil und rutschgefährdet, andererseits gibt es aber auch keine praktikable Möglichkeit, sich festzuhalten. In Bodennähe hängen zwar ein paar Drahtseile herum, aber sehr einladend wirken die auf Leute meiner Bauhöhe nicht.

Ich möchte einigermaßen zügig vorankommen und fahre deshalb die Stöcke wieder aus. Auf dem felsigen Untergrund geben sie zwar nur eine trügerische Sicherheit, weil sie sehr leicht abgleiten können, aber der Boden weist genügend Strukturen auf, die den Stockspitzen Halt bieten.

Knapp neben dem Schernerskopf endet die schräge Passage. Ich steige die wenigen Meter bis zum Steinmann hoch und stehe tatsächlich zum ersten Mal auf diesem unscheinbaren Dreitausender. Während einer kurzen Rast genieße ich den Blick in das tief unten liegende Dorfertal mit dem Fahrweg zur Johannishütte. Und ich trage eine Notiz in meinen PDA ein, dass ich diese Tour etwas übertreibend als «Drei Dreitausender» auf den Hibi-Seiten beschreiben werde – falls ich es nachher noch schaffen sollte, über die Tulpspitze zu gehen.

Die letzten Meter bis zur Kreuzspitze sind wieder genussvoll. Die Stöcke sind wieder auf dem Rucksack, die wenigen Altschneefelder auf der Schattenseite sind harmlos, es geht jetzt in guten Stufen problemlos auf den Gipfel.

Viel Zeit habe ich jetzt nicht mehr! Und so wird an diesem Tag die Kreuzspitze nur zu einer Zwischenstation. Natürlich bleibe ich ein paar Minuten hier oben stehen, genieße das Panorama, mache ein paar Aufnahmen und hänge einigen Erinnerungen an frühere Besteigungen dieses Gipfels nach. Ich prüfe auch nicht weiter meinen konditionellen Zustand, denn herunter muss ich auf jeden Fall, also erst einmal hinab zur Tulpscharte, dann sehen wir weiter.


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