Auf den Lasörling - reichlich Höhenmeter!

Bilderbuchwetter, und gerade heute morgen habe ich einen dröhnenden Schädel. Ich muss mir eingestehen, dass ich gestern Abend das eine oder andere Zigarettchen hätte weglassen sollen, und den süffigen Rotwein werde ich heute nicht mehr anfassen! Egal: heute ist der Lasörling fällig. Endlich! Seit Jahren steht dieser Gipfel auf meinem Plan, aber immer, wenn ich ihn angehen wollte, kam schlechtes Wetter oder irgendeine Unpässlichkeit dazwischen.

Die Gäste wollen mir abraten. Ich bin nicht gar zu früh dran und sehe wohl noch etwas verschlafen aus, aber ich habe in dieser Saison insgesamt nun fast schon 5 Wochen Hibi hinter mir und fühle mich, als könne ich Bäume ausreißen. Auch der Hinweis, dass man erst gestern eine Dreiergruppe mit dem Hubschrauber aus dem Gipfelbereich des Lasörlings hat herausfliegen müssen, berührt mich überhaupt nicht.

Es dauert etwas länger, bis ich meinen Rucksack gepackt habe, und es dauert heute Morgen auch etwas länger, bis ich nach dem Steilaufstieg durch den Wald auf den Fahrweg zur Lasnitzenalm hinaustrete. Der Steig schlaucht mich, aber ich höre in mich hinein und mache so etwas wie Lustlosigkeit aus. Wie oft bin ich heuer diesen Weg schon gestapft. Langeweile, die ich aber kompensiere, indem ich auf dem gemütlichen Sträßchen in meditativen Trott verfalle.

Ich raste auf einem Felsblock im Talhintergrund, knapp neben der Stelle, wo der Muhsweg nach links abgeht. Ich lasse mir fast zwanzig Minuten Zeit, stopfe mir einen Müsliriegel hinein und bekämpfe mit einem halben Liter Isostar meinen Nachdurst. Ich bin endgültig wach, denn jetzt geht es auf neues, mir unbekanntes Gelände. Immer noch sehr gemütlich steige ich über den felsdurchsetzten Hang langsam weiter. Ich bin jetzt gut warm gelaufen und komme stetig voran, auch wenn sich der Weg als nicht so ganz einfach herausstellt, wie er von weitem ausgesehen hat. Die Steigung ist deutlich zu spüren, der Weg schenkt sich jeglichen Schnörkel und geht im Prinzip sehr geradeaus nach oben. Die Felswände der Lasörlingausläufer, die das Virgental gegen Süden vom Defereggental abtrennen, schieben sich nur ganz allmählich ins Blickfeld. Gras und Erde verlieren sich nun, und über eine lange Schuttzunge geht es weiter steil und anstrengend voran.

Endlich fester Fels! Ich verliere unmittelbar jegliche Müdigkeit, denn hier ist mein Metier! Schluss mit dem Gerutsche – feste Tritte, guter Halt – mein Herz macht einen kleinen Freudenhopser, zumal der Gipfel linkerhand nun schon zum Greifen nah erscheint. Das Wetter wird noch besser und ich hoffe, endlich mal wieder bei guter Sicht auf einem Gipfel zu stehen.

Zehn Minuten später stockt mein Schritt: in der schattigen Nordwand des Felskamms liegt Eis! Die frustrierten Worte eines Bergfreundes klingen mir in den Ohren. Der brach zwei Jahre vorher seine Lasörlingtour ab, weil alles vereist war. Ich will es nicht fassen und sondiere erst einmal die Lage. Halb so wild, stelle ich nach wenigen Augenblicken fest. Zwischen den Felsen gibt es zwar ein paar Eisflecken, aber es bieten sich ausreichend trockene Tritte an, so dass ich kein ungewöhnliches Risiko ausmachen kann.

Die ersten Seilsicherungen kommen. Aber die sind nur ekelhaft kalt und wirken eher auf die Psyche. Ich nutze zwar ein paar Mal die Verankerungsstifte, um mich schnell ein Stück nach oben zu ziehen, aber meistens ist mir ein guter Griff am Felsen doch willkommener. Und noch immer befinde ich mich in einer Passage, die ich etwas schnodderig als erschwertes Gehgelände bezeichnen möchte.

Ich erreiche den scharfgeschnittenen Sattel zwischen der Niederen Höhe und dem Lasörlinggipfel, ohne mit dem Eis größere Probleme zu bekommen. Jetzt bin ich aus dem Schatten heraus, jetzt dürfte es wärmer werden.

«Fetzig!» sage ich laut, als ich nach links zum Gipfel blicke. Ein kurzes, links und rechts steil abschüssiges Gratstück will überklettert werden. Ich nehme mir ein paar Minuten Zeit und versuche den Verlauf mit den Augen aufzunehmen. Ich trinke ein paar Schlucke und gehe das Stück dann an.

Der Steig hat einen sehr zwiespältigen Charakter. Teils geht es über gut ausgeprägten Fels mit einfachen Tritten, aber zwischendurch müssen abschüssige Platten überwunden werden, die aber gut gestuft sind und gerade einem Menschen mit langen Beinen keine Probleme bereiten. Überall gibt es Seilsicherungen, aber die taugen mehr zum Einhängen als zum Festhalten. Ich halte mich an den reichlich vorhandenen Griffen fest, und mehr als einmal ist mir das Stahlseil mehr im Weg, als dass es mir nützt.

Nach zwanzig Minuten wird es wieder easy, aus Klettergelände wird wieder eine Gehpassage. Ich treffe ein Ehepaar, das von der Lasörlinghütte aufgestiegen ist und sich nach dem Weg ins Lasnitzental erkundigt. Die beiden haben Klettersteigsets bei sich. Das beruhigt mich, denn sie machen einen etwas verunsicherten Eindruck. Ich nehme mir ein paar Minuten Zeit und schildere ihnen möglichst genau die Passage, die ich gerade hinter mich gebracht habe. Ich treffe sie später beim Abstieg wieder und freue mich, dass sie begeistert waren.

Die letzte Viertelstunde bis zum Gipfel ist einfache Pflichtübung. Zwischendurch gibt es eine heftige Trittstufe und ganz leichte Kletterstellen, aber gefährlich ist’s nun wirklich nicht mehr.

Und dann sitze ich endlich oben und genieße eine ganze Stunde lang. Soviel Zeit muss sein. In dieser Stunde kommen noch fünf Leute auf den Gipfel. Zweimal darf ich ein Gipfelfoto schießen. Und ich bin sofort wieder allein. Gipfelfoto – kurz schauen, absteigen. Wofür klettern die eigentlich hoch? Die kommen japsend hier an, schauen auf die Uhr und steigen wieder ab. Ich versteh‘ das nicht…

Die nun schon tiefer stehende Sonne ermahnt mich – ich muss ja wieder hinab! Bis zum Sattel vor dem Lasnitzental muss ich langsam und vorsichtig abklettern, auch die ersten Meter ins Tal hinunter sind langsam und mühsam. Dann aber greift mein langer Schritt und ich verliere schnell an Höhe. Aber Aufpassen muss ich: bei jedem Tritt auf dem eher rutschigen Untergrund können Steine losgetreten werden.

Ziemlich müde passiere ich die Lasnitzenhütte. Heute gönne ich mir keinen Abschlusstrunk – ich will unter die Dusche und rechtzeitig zum Abendessen…