Durchquerung der Lasörlinggruppe - Teil 1

Eine verschärfte Durchquerung
Von St. Jakob im Defereggental über die Neue Reichenberger Hütte
und über ein paar «Umwege» zurück ins Virgental.

Eine Durchquerung der Lasörlinggruppe von St. Jakob im Defereggental hinüber ins Virgental ist auf dem einfachsten Weg in etwa 6 Stunden zu schaffen und gehört zu den eindrucksvollsten Touren für «normale» Bergwanderer. Nur das Hin- oder Herfahren ist ein wenig lästig, vor allem, wenn man lieber das eigene Auto nimmt, um sich nicht von den Busabfahrtszeiten stressen zu lassen. So organisieren sich meistens Wandergruppen: Mit einem Auto fährt man morgens gemeinsam ins Defereggental, mit dem anderen wird abends der Wagen wieder abgeholt.

In jedem Bergurlaub drängt es mich mindestens einmal zu einer einsamen Solotour, was meine Frau dann geduldig zu ausgedehnten Ruhepausen auf der Islitzer-Alm nutzt. Nachdem ich die einfache Durchquerung in einer oft plappernden Wandergruppe bereits kennen gelernt hatte, wollte ich im Sommer 1997 die Eindrücke auf diesem Weg allein auf mich wirken lassen. Mit der mir eigenen Portion Masochismus dachte ich aber an eine verschärfte Variante, nämlich über die Rote Lenke, die Michltalscharte und die Lasnitzenalm zurück nach Hinterbichl.

Die Wetterverhältnisse waren etwas merkwürdig. Im Großen und Ganzen führte der Sommer sich ganz passabel auf, aber auf früheren Touren hatten ich in größeren Höhen doch einige Altschneefelder gesehen. Eine telefonische Nachfrage auf der Neuen Reichenberger Hütte ergab, dass Rote Lenke und Michltalscharte gangbar seien. Etwas Kopfzerbrechen machten mir die drohenden Nachmittagsgewitter, aber ich beruhigte mich damit, dass ich bei Wetterverschlechterung gleich zwei Abkürzungen ins Virgental nehmen könnte.

Anstieg von St. Jakob aus

Um halb neun schultere ich in St. Jakob meinen Rucksack und stapfe durch den kühlen Talausgang des Trojer Almbaches los. Der gemütliche, nur leicht ansteigende Fahrweg erleichtert es mir, den richtigen Gehrhythmus zu finden. Nach zwanzig Minuten bin ich warmgelaufen und trenne mich sogleich von meiner obersten Bekleidungsschicht. Bald stehe ich vor der ersten Entscheidung: Soll ich den weiterhin nur sanft ansteigenden Weg über die Trojer Almen einschlagen oder den eher herzhaft nach oben führenden Knappensteig? Ich wähle die zweite Möglichkeit, schon um den vielen Wanderern auf der Almenstraße aus dem Weg zu gehen. Mir ist heute nach Ruhe zumute.

Der Knappensteig führt als schmaler und teilweise schlecht erkennbarer Trampelpfad durch den Lärchen- und Föhrenhang schräg traversierend bis über die Baumgrenze. Sein Name verweist auf die weit oben liegenden Knappengruben – ein auf­ge­lassenes Bergwerk. Es war lange verfallen; noch vor 10 Jahren gab es dort nur Grundmauern und die Überreste von Stolleneingängen zu besichtigen. Inzwischen wurde es restauriert und zu einem Museum ausgebaut. Allerdings habe ich heute keine Zeit für einen Besuch. Mein Weg führt nicht direkt an den Knappengruben vorbei – und außerdem fand ich den früheren Zustand deutlich spannender.

Der Weg wird anstrengender. Die Sonne treibt jetzt die Feuchtigkeit aus dem Boden, und es entwickelt sich ein leichtes Dschungelklima. So weiß ich die notwendigen Pausen fast zu schätzen – Orientierungspausen, wenn der Weg dreimal die aufwärtsführende Forststraße quert und nicht sofort zu erkennen ist, wo der Steig weiterführt. Wenige hundert Meter vor der Dürfelderalm verlasse ich den Wald und damit die feuchte, dampfende Hitze. Über einen kargen, steindurchsetzten Hang mit Niedriggehölz erreiche ich schnaufend und schwitzend den obersten Teil des Fahrweges. Der führt erst einmal fast horizontal weiter, somit ist mir eine Pause vergönnt, ohne Stehenbleiben natürlich!

Bei der Dürfelderalm schaue ich auf die Uhr: halb elf und etwa 900 Höhenmeter bewältigt! Ich habe den mir gesetzten Zeitrahmen exakt eingehalten. Die nächsten knapp 300 Höhenmeter werden etwas gemütlicher. Direkt nach dem Ende des Fahrweges geht es zwar noch einmal kurz und heftig nach oben, dann aber erlaubt mir der ohne wesentliche Höhenunterschiede weiterführende Rudolf-Kauschka-Höhenweg aufgrund meiner Schrittlänge ein richtiges «Zeitfressen». Wegen des frischen Windes ziehe ich eine leichte Jacke an, zurre den Rucksack zurecht, setze wegen der Sonne die Kappe auf und marschiere los.

Ein Stück recht gemütlich zur Hütte.

Gleich nach einer Biegung stehe ich mitten in einer wenig kooperativen Kuhherde. Das Almvieh steht zu Dutzenden im Weg herum, ich muss es teilweise regelrecht verscheuchen. Diese Blockade bremst mich zwar ein bisschen aus und macht auch das Vermeiden der reichhaltig herumliegenden «Tretminen» nicht ganz einfach. Aber ich habe gute Laune, und nach nicht einmal zehn Minuten verabschiedet mich das letzte der dicken Viecher mit einem sicher freundlich gemeinten Schwanzschlag. Die Glocken sind allerdings noch bis weit hinter die nächste Biegung zu hören.

Jetzt bin ich wieder im Tempo. Zum Dösen und Träumen ist aber keine Gelegenheit, denn der holprige Weg führt an einem mehrere hundert Meter abfallenden Steilhang entlang. Das erfordert Gehdisziplin und Konzentration.

Um halb zwölf treffe ich auf den aus dem Trojer Almtal heraufführenden «Standardweg». Leise, aus der Tiefe wahrnehmbare Stimmen verraten mir, dass ich die anderen Wanderer überholt habe. Da ich die letzte Dreiviertelstunde ohne größere An­strengung gelaufen bin, sind die zwanzig Minuten Steilaufstieg zur Neuen Reichenberger Hütte über lockeres Gestein zwar schweißtreibend, aber kaum belastend.

Auf der Hütte ist es noch relativ einsam. Die Hüttentourengeher sind schon lange weg, nur ein paar Frühaufsteher haben den Weg aus dem Defereggen- oder Virgental herauf schon geschafft.

Allerdings treffe ich überraschend einen Bekannten aus dem Tal, der wenige Minuten vor mir aus dem Virgental kommend die Hütte erreicht hat. Wir trinken beide einen Obstler aus meinem «Notproviant», und während ich nach der damit einhergehenden Ausdampfphase in den Gastraum gehe, um ein leichtes Mittagessen einzunehmen, sucht der Bergfreund in der weitläufigen Umgebung der Hütte Ruhe. Er hat es nicht eilig, will er doch später ganz gemütlich durch das Großbachtal zu den Jausenstationen Pebellalm und Islitzer Alm absteigen.


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