Uff, die Schnauferei schien erst einmal zu Ende. Etwas atemlos rasteten wir am weiten Eingang des Großbachtales und spürten noch ein wenig den Steilaufstieg von der Pebell-Alm herauf. Der zweiundneunziger Juli gab sich heiß und trocken und der tiefblaue Himmel mit der gleißenden Sonne versprach einen schweißtreibenden Marsch zur Neuen Reichenberger Hütte. Das übertriebene Hochsommerwetter hielt wohl viele Tourengeher zurück, denn heute war es sehr einsam hier oben, von irgendwo her schien Kuhglockengeläut an unsere Ohren zu dringen und Gabi meinte, irgendwo in den Hängen Schafe zu erblicken.
«Rindviecher und Schafe unter sich», meinte ich und spielte damit darauf an, dass man uns abgeraten hatte, bei dieser Hitze eine so lange Tour zu machen. Aber die masochistische Ader in uns trieb uns voran und so schulterten wir schon nach wenigen Minuten und einem noch halbwegs kühlen Getränk unsere Rucksäcke um weiter in das Tal hinein zu stapfen.
Mehrfach bremsten Viehabsperrungen unseren gleichmäßigen und zügigen Schritt. Wir ärgerten uns ein wenig, dass man sich hier nicht die Mühe gemacht hatte, die bekannten kleinen Türchen anzubringen sondern einfach Stacheldraht gezogen hatte, der sich gegenüber Wanderhosen recht aggressiv gab. Am dritten oder vierten Hindernis rasteten wir noch einmal kurz und wunderten uns darüber, dass weit und breit kein Vieh zu sehen war.
«Ich verstehe nicht, warum die hier unten Stacheldraht ziehen, wo die Schafe doch da oben gemütlich den ganzen Hang entlang spazieren können!» sagte Gabi und ich blickte in die von ihr angezeigte Richtung.
Sehr weit oben bewegten sich etwas mehr als ein Dutzend kleine, graubraune Tiergestalten die gemütlich den Abhang traversierten.
«Das sind doch keine Schafe», meinte ich zweifelnd und starrte angestrengt nach oben. «Von der Größe her müssten es eigentlich Kühe sein, aber genau kann ich das auf diese Entfernung hin nicht feststellen.»
Egal – was sollten wir uns weiter um das «dumme» Viehzeug kümmern! Waren wir doch froh, dass es diesmal nicht störrisch und hinderlich im Weg herumstand und uns mit seinen rustikal riechenden landwirtschaftlichen Naturprodukten die Bergstiefel würzte. Vorsichtig überwanden wir den Stacheldrahtverhau und strebten dem nächsten Hindernis zu, das sich ein paarhundert Meter entfernt in Form eines kleinen Steinwalles entgegenstellte.
Plötzlich ein bedrohliches Geräusch von links oben. Unwillkürlich vermutete ich einen Geröllabgang – gerade in diesem Sommer hatten wir rund um die Bonn-Matreier Hütte und die Wunspitze mehrfach dieses Gerumpel gehört. Wir schauten beide besorgt in die Höhe, um die Gefahr zu lokalisieren. Und gleichzeitig brachen wir in erleichtertes Lachen aus, denn die befürchtete Steinlawine entpuppte sich als offensichtlich durchgegangene Kuhherde. Soweit es das Gefälle zuließ, galoppierte ein gutes Dutzend stattlich aussehender Viecher mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in einer Staubwolke den Abhang hinunter und zeigte dabei eine merkwürdige Zuneigung für genau unseren Standplatz.
Gabi und ich blieben erst einmal stehen, um den Ausgang dieses «Stampedes» abzuwarten. Was mochte die sonst so stoischen und gutmütigen Tiere zu diesem Verhalten angetrieben haben? Ziemlich schnell und unseres Erachtens auch ziemlich nutzlos preschte die Herde wohl drei- bis vierhundert Meter herunter und hielt dabei gleichmäßig auf uns zu. Es wurde uns ein bisschen mulmig, aber bevor wir die Situation richtig erfasst hatten, bremste der Viehkonvoi fast ruckartig hinter dem niedrigen Steinwall, den wir als nächstes zu übersteigen hatten.