Echt Schaf! - Ein Naturereignis - Teil 2

Beitrag von Thomas Scheinkönig

Böse Schafe…

Nach wenigen Minuten hatten Sie mich, erfüllt von Neugier und Gefräßigkeit, umzingelt und mich voll Herzlichkeit in ihre Herde aufgenommen. Mein Rucksack, der meinem hungrigen Magen gerade die Jause freigeben sollte, wurde gründlichst untersucht. Aber dies kannte ich ja aus früheren Begegnungen schon. Zart bis hart wurde am Rucksack herumgeknabbert und auch peinlichst genau geschaut ob der Wanderer wohl etwas in seinen Händen verbergen könnte. Es gab auch schwarze Schafe unter dieser Horde.

Ein jugendlicher Bock, so wirkte er dem Verhalten nach jedenfalls, interessierte sich jedoch nicht für den Rucksack, sondern er hatte offensichtlich ein Auge auf meine, neben dem Rucksack liegenden, Wanderstöcke geworfen. Hatte er auch etwas an den Knien? Dies Verhalten war mir neu und der Bock übrigens keiner von den schwarzen Gruppenmitgliedern.

Während ich den ganzen Vierbeinerauflauf fotografierte begann jener Jungbock damit, auf der Handschlaufe eines Wanderstockes herumzukauen. Ja wenn man liebt, dann auch den Schweiß der Person, welcher man von Herzen zugetan ist.

Warum ausgerechnet der Bock aus der Herde Interesse an mir und meinen Dingen ganz besonders zeigte, konnte bis heute nicht geklärt werden und wird wohl ein Rätsel bleiben. Bald nahm der Bock den Stock, vom Übermut eines Halbstarken angetrieben, warf ihn in die Luft, ließ ihn zu Boden fallen, schaute hin, warf ihn in die Luft und so weiter, und so weiter.

Ich – zu diesem Zeitpunkt war ich noch begeistert – freute mich über solchen, noch nie da gewesenen Anblick und hatte nur noch eines im Sinn, nämlich jenes Schauspiel per Foto für die Nachwelt zu erhalten. Am Himmel über dem Talende zogen derweil dunkle Wolken auf.

Gerade hatte ich mit der Kamera einen Schuss gemacht, da schaute der Jungbock wieder, fast hypnotisierend, auf die Schlaufe am Stock. Er nahm den Stock wieder hoch und ich die Kamera. Ich schoss ein Foto und…

…legte – von Unfassbarkeit im Gesichte erfasst – die Kamera in Sekundenschnelle ab. Denn ich musste erblicken, wie sich der Schafbock, der gscherte, mit meinem Wanderstock aus dem Staube machte! Als hätte ihn eine Bremse in den Allerwertesten gestochen, jagte er mit meinem Stock durch das weglose Gelände davon. Und ich?

Nicht wissend wie mir geschieht, nahm ich meine Beine in die Hand und hetzte diesem Untier hinterher. Im Stile eines Hürdenläufers lief, stolperte und sprintete ich durch das Geröll, nur noch den Dieb vor Augen. Meine verbalen Drohungen in Form einer Aufzählung von Lammgerichten à la carte und auch diverse Schimpfworte aus meiner hessischen Heimat wie z. B. «Säubub» ignorierend, wurde das Vieh immer schneller. Auch ich wurde schneller, denn wie bereits erwähnt trugen meine Füße für den ersten Tag schon recht gut. Immer wenn ich den Bock zum Greifen nah hatte schlug er einen Haken, um mich durch eine Richtungsänderung abzuschütteln. Mehrmals griff ich ins Leere und geriet dabei immer ins Straucheln.

So jagten wir fünfzig, sechzig und sicher mehr Meter durch das reichlich herumliegende Geröll. Seine Taktik durchschauend, kam ich ihm jedoch immer näher und näher, bis ich ihn schließlich an seiner Gesäßwolle zu fassen kriegte. Ein Griff, fliegende Wolle, ein wehleidiges Aufblöken und sein Maul gab den Wanderstock frei. Und er gab auf.

Der nun etwas belämmert dreinschauende Schafbock suchte das Weite und ich meinen Stock, um ihn kurz danach an mich zu nehmen. Aus einiger Entfernung traf mich dann noch ein verächtlicher Blick des Verlierers. Und die Herde? Sie hatte sich aus Solidarität inzwischen zu dem Herdenmitglied aufgemacht.

Meine Knie und ich, wir freuten uns über den wiedererlangten Wanderstock und mein Magen freute sich schon sehr über die Jause aus dem Rucksack, welche ich nun ohne lästige Mitesser einnehmen konnte. Erst jetzt realisierte ich langsam, was da gerade vorgefallen war.

Mein Rückweg durch das schöne Umbaltal, das wird sicher jeder verstehen, erfolgte in Begleitung innerer Freude, die sich ab und an in lautem Lachen meinerseits entlud.

Wieder in meiner Frühstückspension angekommen, konnte ich das Erlebte nicht lange für mich behalten. So etwas muss einfach raus. Als ich bald schon meiner lieben Pensionswirtin Conny begegnete, da entglitt mir der folgenschwere Satz: «Also heute ist mir was passiert!»

Seitdem nimmt die Geschichte ihren Lauf und hat, was mich besonders freut, schon für viel herzliches Lachen gesorgt. Wie oft ich diese Begebenheit seit jenem Tage, während des Urlaubes und bis heute schon erzählen musste, kann ich nicht sagen. Sie hat sich jedenfalls herumgesprochen und wohl auch meinen Bekanntheitsgrad erhöht. «Scheinkönig, ach ist das der mit den Schafen!» Oder: «Ach sind Sie nicht der, dem der Stock von einem Schaf geklaut wurde?»

Insbesondere im Gästehaus Conny im schönen Hinterbichl wird wohl die Geschichte weitergegeben, damit keiner unwissend bleibt. Und die Gäste leisten dann Ihren Beitrag zur Verbreitung. Im Urlaub Hinterbichl – Sommer 1999 – erkundigten sich liebe Gäste nach mancher Wanderung bei mir, ob ich denn Schafe getroffen hätte. Ja man packte die Sache sogar mit Musik in ein Gstanzl.

Es war daher auch höchste Zeit die Geschichte schriftlich festzuhalten. Ich denke es ist eine Story, die man in vielen Jahren auch noch im Seniorenstift erzählen kann.

Bis heute treffe ich ab und an Schafe in den Bergen. Aber wohl nie mehr eines, wie den Bock mit dem Wanderstock. Der war eben ein Naturereignis.


Teil 1: Brave Schafe…