Beitrag von Thomas Scheinkönig
Es war eigentlich ein ganz normaler Sommertag, wenn man einmal von der besonders angenehmen Tatsache absieht, dass es sich um meinen ersten Urlaubstag handelte. Der erste volle Urlaubstag im Sommer 1998 und ich bereits an meinem Urlaubsort Hinterbichl, einem kleinen, schönen Ort am Ende des Virgentales. In den Osttiroler Bergen gelegen.
Zum dritten Male in Folge wollte ich die herrliche Bergwelt dieses Tales auf jene schweißtreibende Art genießen, die man landläufig Bergwandern nennt und welche, aufgrund gewisser masochistischer Grundtendenzen, bei körperlich eher bequemeren Urlaubsmenschen gerne auch Kopfschütteln verursacht.
Also doch kein ganz normaler Sommertag. Im Gegenteil, es sollte sich sogar noch in einem weiteren Sinne um einen ungewöhnlichen Tag handeln. Einen, der sich auf ewig in meines Geistes Festplatte eingeschrieben hat, weil er durch das Leben selbst gestaltet wurde. Und das Leben hält eben gerne auch Überraschendes für uns bereit.
Wie in den Jahren zuvor nahm ich mir als erste Tour, man bezeichnet sie auch gerne als die zum Einlaufen, eine Wanderung durch das Umbaltal über die Clarahütte bis hin zum Umbalkees vor.
So geschah es. Gut befrühstückt begann ich entsprechend ausgerüstet, begleitet von Sonnenschein und guter Laune meine erste Wanderung. Selbstverständlich dabei, meine beiden Wanderstöcke. Sie könnten dazu einwenden, dass dies heute doch normal ist. Stimmt an sich auch.
Doch warten Sie’s ab.
Übrigens, ich nehme die Stöcke vor allem zur Entlastung meiner etwas spielfreudigen Knie mit. Zumindest dachte ich so bis zu diesem Tage.
Entlang der Umbalfälle mit ihren außergewöhnlichen Strudeltöpfen, in welchen sich die Wasser der Isel herumtummeln, um sich dann über manch steinerne Klippe durch die viele schöne Gegend zu stürzen, trugen mich meine Füße vorwärts. Hinein in das wildromantische Umbaltal. Und ich muss sagen, für den ersten Tag trugen die Füße gar nicht schlecht und glücklicherweise schon recht flott. Es sollte noch von Nutzen sein.
Aus den letzten Jahren wusste ich, dass ich im hinteren Abschnitt des Tales auch auf Schafe in größerer Zahl treffen konnte.
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich erwähnen, dass ich nicht nur Naturfreund, sondern auch Tierfreund bin. Dieses Faktum erleichtert manches Zusammentreffen, denn Tiere spüren dies, so sagen viele Leute, ganz genau. Ja es wird auch erzählt, dass Tiere entsprechende Ausdrucksformen entwickeln, um ihre Zuneigung zu zeigen. Man denke nur an die vielen heftig wackelnden Dackelschwänze, beim Nahen des persönlichen Chappilieferanten.
Mein Verhältnis zu Schafen war auch immer recht freundschaftlich und unser gegenseitiges Kontaktieren bei diversen Begegnungen war bis zu diesem Tage immer frei von Unstimmigkeiten geblieben. Wobei ich diese wollenen, wandelnden Rasenmäher schon oft als sehr neugierig, ja als sehr wissbegierig erlebt habe.
Ich denke jedoch, ohne die Intelligenz dieser Tiere unterzubewerten, dass die Neugier sicher sehr oft vom Triebe der Gefräßigkeit unterwandert wurde. Ein Schafskopf im Rucksack ist ein Bild, das mir auf Wanderungen schon begegnet war und womit man rechnen konnte. Irrsinnigerweise waren es bislang immer gebirgsbegrasende, österreichische Schafe die mir so ihre Zuneigung zum Ausdruck brachten. Und ich kann mit Sicherheit sagen, dass sie nicht von der Tourismusbranche bezahlt waren.
Die Schafe in meiner hessischen Heimat waren da bislang immer zurückhaltender und im Ausdruck herber geblieben. Nun, man kennt sich halt schon.
Auf meinem Weg durch das Umbaltal fiel mir nun auf, dass die Schafe fehlten. Während immer stärker ein Ausdruck der Verwunderung durch meine Gesichtsfältchen wanderte, wanderten mich meine Füße immer näher gen Talende. Es war nur noch eine höhere Felsbarriere, teilweise aus altem Gletscherschliff bestehend, zu überwinden. Dann sollte sich mir schon der Gletscher in voller Schönheit zeigen. Meine Wanderstöcke zusammengeschoben und an den Rucksack geschnallt, so bewegte ich mich, stückweise auch auf allen Vieren, über Felsplatten und Geröll Höhenmeter um Höhenmeter vorwärts. Solange, bis ich auf dem Felsrücken angekommen war und den Blick frei hatte auf…
…die Schafe, ja da waren sie. Allerdings noch in einiger Entfernung und links bzw. rechts auf die Geröllhänge des Tales verteilt. Bis an das Ende der Gletscherzunge heran. Doch schon bald kamen Sie, angetrieben von innerer Sehnsucht einem Tierfreund ihre Art von Zuneigung zu zeigen, aus sämtlichen Gerölllücken und allen Richtungen auf mich zu. So muss die Völkerwanderung einst gewirkt haben.
Es waren sicher mindestens vierzig Tiere. Ihre Glöckchen bimmelten fröhlich und ihr tirolerisch eingefärbtes Blöken klang schon sehr aufgeregt.