Von Thomas Scheinkönig (2002)
Sommerurlaub 2002 – Hinterbichl! Wo das Herz sich wohl fühlt, dahin möchte es gerne zurück. So bildete auch im Sommer 2002 das Gästehaus Conny den Mittelpunkt meines Urlaubslebens. Sprich, die Basisstation mit Bett, Frühstück, menschlicher Begegnung und abendlicher «Wein- und Moaschderwurzseeligkeit». Von hier sollten wieder die Exkursionen per Pedes in die herrliche Bergwelt der Hohe Tauern erfolgen.
Neben meinen Füßen war natürlich auch ich selbst gespannt auf das, was mich in diesem Jahr so alles erwarten würde. Dabei galt meine besondere Neugier – wie man sicher verstehen wird – auch der aktuellen Lebenssituation der Schafe im Virgen- aber besonders im Umbaltal.
Seit dem Wanderstockdiebstahl durch ein «schwarzes Schaf» im Jahr 1998 und dem damit verbundenen Keesgeröllhindernislauf im hinteren Umbaltal, hatten die dortigen Schafe meine jährlichen Inspektionen mit Unanwesenheit quittiert. Vielleicht war mir der unsittliche Griff in die Gesäßwolle des sprintfesten Raubschafes noch nicht verziehen.
Wie in den Jahren zuvor, führte mich meine erste Tour 2002 (Knochentest) vorbei an den grandiosen Umbalfällen zur Clarahütte und in das hintere Umbaltal. Immer wenn der «Dhomas» – so meine tirolerische Kurzbezeichnung – ins Umbaltal marschiert, bricht im Gästehaus Conny bei Wirtsleuten und einigen Bergfreundinnen und Bergfreunden eine gewisse Sensationslust auf eine neue Schafschlagzeile aus. Man gibt mir Grüße an die Schafe mit und hofft insgeheim auf eine neuerliche, noch nicht da gewesene, intensive Begegnung mit diesen blökenden Bergrasenmähern.
Bei etwas wechselhaftem Wetter setzte ich meine Füße in Bewegung und rasch war die Clarahütte erreicht. Zeitweise kam ich mir vor wie in einer Modenschau. Rein in die Regenkleidung, raus aus derselben und wieder hinein in die wasserdichten Klamotten. So schritt ich voll innerer Spannung, äußerer Nässe und der Freude an der üppigen Blumenpracht hinein in den wildromantischen, hinteren Talbereich. Das Umbalkees im Visier.
Nach etwa einem Drittel des Weges zwischen Hütte und Gletscher muss ein Wechsel der Talseite erfolgen. Eine kleine Stahlbrücke führt dort über die wilden Fluten der Isel. Von dieser Brücke wird später noch zu sprechen sein.
Von Schafen noch keine Spur. Sollten diese wollenen Geschöpfe des Herrn mir immer noch gram sein ? Nahmen sie auch in 2002 die Konsumation des Berggrüns wieder woanders vor? Aber halt: Plötzlich vernahmen meine leicht regenfeuchten Ohren in der Ferne ein leises Läuten. Oder – grober ausgesprochen – ein hellblechern klingendes Gebimmel. Und dann erblickten meine Augen in einigem Abstand die Ursache des Lärmpegels. Von sämtlichen hinteren Talhängen strömten «meine» Schafe wonnig gen Talgrund. Doch warum? Und vor allem: zu wem?
Ein rüstige, ältere Dame hatte sich ebenfalls den Besuch des Umbalkees vorgenommen. Etwa 50 bis 60 Schafe trabten lockeren Schrittes auf die Frau zu, um sie dann zu umkreisen und in ihre Mitte aufzunehmen. Sie wurden zudringlich, begannen zu schupsen und an ihr zu knabbern. Offenbar war die letzte Salzlieferung schon längere Zeit her. Die ältere Dame hob die Arme nach oben und konnte sich, dem Gesichtsausdruck nach, nicht so recht über die Liebesbezeugungen der Tiere freuen. In Frankfurt am Main würde man den Gestus der Frau mit dem Ausruf: «… gottssche naa!!» untertiteln.