Ja, es gibt eine Abkürzung, klärte ich ihn auf – ließ ihn aber noch eine Weile in seiner Verwirrung schmoren. Mein Geheimnis hätte er ohnehin nie erraten…
Vor Jahren hatte ich mit anderen Gästen darüber diskutiert, wie praktisch es wäre, mit der Materialseilbahn zur Sajathütte zu fahren. Während die anderen nur abgewinkt oder sich in leicht übertriebenem Entsetzen geschüttelt hatten, nagelte meine Gastgeberin mich auf diesen Plan fest – und versprach auch, meinen Transport mit den Hüttenbesitzern abzusprechen. Also musste ich irgendwann dieses kleine Abenteuer wagen, schon um die Unkenrufe und Lästereien der anderen Hausgäste zum Verstummen zu bringen.
Kurz nach Herrn B. war ich am Morgen aufgebrochen und nach Bichl gefahren. Doch während er Kehre um Kehre des Katinweges hinter sich ließ, saß ich zwischen Brotkörben und tiefgefrorenen Fleischstücken in der etwas wackeligen Kiste, die zur Hütte emporgezogen wurde.
In etwas mehr als einer Viertelstunde rumpelte die Seilbahn nach oben, und ich hatte Muße, die herrlichen Tiefblicke zu genießen, die sich mit zunehmender Höhe veränderten.
Ich sah das schmale Band des Katinwegs und erblickte auch einige Wanderer, die sich über diesen steilen Aufstieg empor schufteten. Fast war ich etwas enttäuscht, denn die Seilbahnfahrt erwies sich als weniger spektakulär, als ich mir vorgestellt hatte. Ich habe keine Höhenangst, und die Kiste schwankte in der windstillen Spätsommerluft nur an den Pfeilern leicht oder dann, wenn ich mich in der Enge umdrehte oder umsetzte, um mehr zu sehen.
Nach dieser «Abkürzung» war ich natürlich einer der ersten Gäste auf der Sajathütte. Ich widmete mich einem kurzen Zweitfrühstück, und als ich Zeche und Seilbahnfahrt bezahlte, fragte mich Hüttenwirtin Maria Kratzer, was denn mein Tagesziel sei. Kreuzspitze, sagte ich und löste damit krasses Erstaunen aus. Sie hatte gedacht, ich sei «fußkrank», sonst hätte man mich nie mit der Seilbahn «heraufgezogen», das sei nämlich absolut nicht üblich. Am Abend musste ich mit meiner Gastgeberin ein ernstes Wort reden, weil sie mich als Invaliden verleumdet hatte. Doch sie schwor Stein und Bein, nichts derartiges gesagt zu haben…
Herrn B. jedenfalls fiel auf der Johannishütte ein Stein vom Herzen und er musste mir einfach ein Bier ausgeben, weil ich ihn so «schlitzohrig» hinters Licht geführt hatte. Anschließend war er weniger wortkarg – und wir schlenderten zügig und lebhaft plaudernd über den Fahrweg ins Tal hinab. Und die «Abkürzung auf die Kreuzspitze» ist inzwischen zu einer der Geschichten geworden, die beim gemütlichen Zusammensein der Hausgäste immer wieder gern erzählt werden.